WOHLSTAND FÜR ALLE ?

eine packende Geschichte zum selbst lesen, zum vorlesen in der Familie, im Freundeskreis 

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Gleich gibt es Bescherung bei Familie Müller, die in einem modernen Haus mit einem gepflegten Garten wohnen. Während die Eltern die letzten Vorbereitungen treffen warten ihre beiden Kinder in Timms Zimmer. 

 

Susi sitzt auf seinem Bett und ist voll in den Chat auf ihrem Handy vertieft. Einige ihrer Freundinnen haben bereits Geschenke bekommen und diskutieren über ihre Präsente. Susi hofft, dass sie neben tollen Klamotten und Schuhen das neuste Iphone bekommt. Mit ihrem zwei Jahre alten Samsung muss sie sich ja schämen. Die 14 jährige wirkt mit ihren langen blondierten Haaren und dem kräftigen Make Up deutlich älter.

 

Timm blickt verträumt aus dem Fenster. Es nieselt leicht, wie die vergangenen Jahre weit und breit keine weiße Weihnacht. Noch vor einem Jahr mit 9 hatte Timm an den Weihnachtsmann geglaubt und ihm einen langen Brief mit seinen Wünschen geschrieben. Inzwischen weiß er, dass Mama und Papa die Geschenke besorgen. „Egal“ denkt er sich „Hauptsache ich bekomme meine Playstation mit dem neuen coolen Starwars Spiel.“ Da klingelt auch schon das Glöckchen. Endlich ist Bescherung!

 

Im Wohnzimmer steht wie jedes Jahr ein prächtig geschmückter Christbaum, doch darunter liegt kein einziges Geschenk, nur zwei Briefe. Timm denkt sich: „Au weia, jetzt hat Papa seine Drohung wahr gemacht und es gibt nichts, weil Susi und ich manchmal frech sind und zu wenig im Haushalt mit helfen.“ Ängstlich schaut er seine Eltern an aber erntet zu seinem Erstaunen nur aufmunternde Blicke. „Nun macht schon auf!“ feuert Mama sie an. Susi steht trotzig mit verschränkten Armen vor dem Baum: „Verarschen kann ich mich selber.“ murmelt sie. Papa nimmt sie in den Arm: „Nun schau doch erst mal rein.“ Die Kids setzen sich mit den an sie adressierten Briefen auf die Couch und beginnen zu lesen. 

Lieber Timm,

 

hast Du Dich schon mal gefragt, woher der Kakao für die Schokolade kommt, die Du so gerne isst? Feiert man dort auch Weihnachten? Welche Geschenke bekommen die Kinder dort wohl? Lass uns mal einen Blick nach Afrika werfen:

 

An der Elfenbeinküste ist es gerade 17:00

 

Es ist warm und sehr schwül. Tayo und etwa ein Dutzend andere Jungs zwischen 10 und 15 Jahren ernten die gelb orangen Früchte der Kakaobäume. Während die einen die ovalen etwa 30cm langen Früchte mit Stöcken herunter holen öffnen die anderen mit geschickten Hieben ihrer Macheten die feste Schale, um an das weiße Fruchtfleisch mit den begehrten braunen Bohnen zu kommen.

 

Tayo ist 13 Jahre alt und arbeitet schon 4 Jahre auf der Plantage. Seine Familie ist sehr arm und hat ihn hierher geschickt. Das bedeutet ein Maul weniger zu stopfen und ein bescheidenes Zusatzeinkommen von 15 Euro im Monat. Tayo wäre gerne zur Schule gegangen. Stattdessen ist er tagaus tagein auf der Kakao Plantage, spritzt die Bäume ohne Atemschutz mit giftigen Pflanzenschutzmitteln, erntet und öffnet die Früchte, bereitet sie für die Gärung vor (bei der sich die bitteren Kakaobohnen in den für Schokolade nötigen leckeren Rohstoff verwandeln). Anschließend werden die Kakaobohnen in der Sonne getrocknet und in große Säcke gepackt. Diese müssen die Kinder ins Lager schleppen. Sie werden zum Hafen gefahren und von dort in alle Welt verschifft.

 

Tayo hat zwar schon davon gehört, dass aus den braunen Samen süße Leckereien gemacht werden, doch hat er selbst noch nie Schokolade probiert. Dafür hat die schwere Arbeit einige Spuren hinterlassen. Tayo hat immer wieder Rückenschmerzen von den schweren Säcken. Mit der Machete hat er sich schon einige male verletzt. Erst vor kurzem musste einem Jungen ein Bein amputiert werden, weil sich die Wunde aufgrund mangelnder medizinischer Versorgung dramatisch entzündete. Tayos Haare wachsen nicht mehr, wohl eine Folge der Spritzmittel, wie das Erblinden einiger Kinder. Doch all die Blessuren hindern den Jungen nicht daran sein Schicksal voller Demut zu ertragen. Er kennt es ja nicht anders.

 

Die Plantage liegt eigentlich in einem Naturschutzgebiet. Doch so weit das Auge reicht erstreckt sich ein Meer an Nutzpflanzen. Nur hier und da ragen mächtige Iroko-Bäume in den Himmel und erinnern an den üppigen Urwald, der hier noch vor wenigen Jahren sprießte. Da diese uralten Riesen der Brandrodung nicht zum Opfer fielen wurden sie mit Gift getötet. Deren Holz war durch diese Maßnahme unbrauchbar geworden und so ließ man sie einfach stehen.

 

Aber wie kam es eigentlich zur Ausbeutung der Naturschutzgebiete? Die Beamten der zuständigen Behörde vergaben das Land, welches dem Staat gehört, an Kleinbauern gegen Geld, das sie sich selbst in die Taschen steckten. So etwas nennt man Korruption. Die Kleinbauern wollten sich eine gesicherte Existenz aufbauen. Doch die wenigen Großkonzerne, die die Kakaoernte aufkaufen, halten den Preis niedrig. Da die Spritzmittel einen Großteil der Einnahmen verbrauchen bleibt den Bauern nichts anderes übrig als Kinder zu beschäftigen. 

 

Wir Konsumenten können diese Missstände ändern, wenn wir nur fairtrade Schokolade kaufen. Dann erhalten die Bauern genug Geld, um ökologische Landwirtschaft ohne giftige Spritzmittel zu betreiben. Sie können angemessene Löhne bezahlen und beschäftigen nur noch Erwachsene. Die Gemeinden bekommen finanzielle Mittel um Schulen zu bauen und betreiben. Vereinzelt gibt es solche tollen fairtrade Projekte schon.

 

Tayo hat von alldem keine Ahnung. Bald geht die Sonne unter und beendet seinen Arbeitstag. Dann geht es zurück zur Unterkunft, eine einfache Baracke ohne Leitungswasser, Kanalisation und elektrischen Strom. Es gibt noch wie jeden Abend einen Getreidebrei und wenig später fällt Tayo erschöpft in sein Bett, eine verdreckte dünne Matratze. Er kennt es ja nicht anders.


Liebe Susi,

 

hast Du Dich schon mal gefragt, woher das Leder für die Schuhe kommt, von denen Du nicht genug kriegen kannst? Feiert man dort auch Weihnachten? Welche Geschenke bekommen die Kinder dort wohl? Lass uns mal einen Blick nach Asien werfen:

 

In Bangladesch ist es gerade 23 Uhr 

 

Es ist Nacht in Hazaribagh, dem Gerberviertel von Dhaka, mit 15 Millionen Einwohnern eine der größten Städte der Welt. Der 12 jährige Anil liegt hellwach auf seiner Matratze, die er mit seiner kleinen Schwester Nilam teilt. So vieles ist in diesem Jahr passiert. Im Frühjahr noch lebte er mit seiner Familie als Bauern auf dem Land. Doch durch den außergewöhnlich intensiven Monsun trat der Fluss über die Ufer und zerstörte ihr Haus und die gesamte Ernte. Um überleben zu können zogen sie in die Stadt und seine Eltern fanden nur hier Arbeit, ausgerechnet hier.

 

Hazaribagh gehört zu den Orten mit der größten Umweltverschmutzung weltweit. Mindestens 250 Gerbereien verarbeiten jährlich rund 40 Millionen Tierfelle – Tendenz rasant steigend – zu Leder und das unter katastrophalen Bedingungen für Mensch, Tier und Natur. Die Folgen sind ein toter Buriganga, der täglich Millionen Liter ungeklärte Chemikalienbrühe aufnehmen muss, verseuchtes Grundwasser und ein kilometerweit wahrnehmbarer übler Gestank.

 

Bereits die Beschaffung der Tiere ist Tierschutzorganisationen wie PETA ein Dorn im Auge. Die im hinduistischen Indien als heilig geltenden Kühe werden ahnungslosen Bauern abgekauft und bis zu 2000km illegal in die Hauptstadt Bangladeschs transportiert. Damit die gutmütigen Rinder während dieser Strapaze stehen bleiben wird ihnen der Schwanz mehrfach gebrochen oder Chili in die Augen gerieben. Wenn die völlig erschöpften Tiere in Dhaka auf nach Gülle stinkenden Sammelplätzen ankommen, dann erscheint ihre Schlachtung wie eine Erlösung. Doch auch diese ist ebenfalls würdelos. Vor den Augen ihrer Artgenossen wird ihnen nach muslimischer Tradition bei vollem Bewusstsein die Kehle aufgeschlitzt. 

 

Anil bekommt davon nichts mit. Seine Eltern arbeiten in einer der vielen Gerbereien als Tagelöhner. Das bedeutet, dass sie keine feste Anstellung haben und nur dann Geld bekommen, wenn sie arbeiten. Der Verdienst ist sehr gering, gerade einmal 10 Cent pro Stunde. Bei einer 70 Stunden Woche sind das nur 30 € monatlich. Anil und Nilam legen das Leder zum Trocknen in der Sonne aus und bekommen dafür etwas Geld. Es gibt sowieso weit und breit keine Schule. So kommt die kleine Familie gerade noch über die Runden, es reicht für eine 3 mal 3m große schäbige Unterkunft aus Bambus und Wellblech, zwei Mahlzeiten täglich – meist Reis und ab und zu billige Schlachtabfälle für eine Suppe. Es gibt kein fließendes Wasser und keinen Strom. Für die Armen hat die Stadt eine kostenlose ärztliche Sprechstunde eingerichtet, die hoffnungslos überlaufen ist. Einen Aufenthalt im Krankenhaus kann sich hier ohnehin keiner leisten.

 

Die Arbeitsbedingungen in den Gerbereien sind sehr hart. Wenn man in die unbelüfteten Räume gelangt, dann kommt einem ein beißender Geruch entgegen und wenig später überkommt einen Übelkeit, aber man gewöhnt sich mit der Zeit daran. Keiner trägt einen Mundschutz und nur wenige Handschuhe oder Gummistiefel. Niemand wurde in den Umgang mit den hochgiftigen Chemikalien eingewiesen. Ein fatales Versäumnis, bleiben oftmals Schadstoffe im Leder, ruinieren die Beschäftigten ihre eigene Gesundheit und lassen das vom Enthaaren, Gerben und Färben verseuchte Abwasser ungeklärt in die Natur laufen. So lange in Bangladesch eine solche Armut herrscht, dass die Menschen jede Arbeit annehmen, die Modeindustrie nicht vehement auf bessere Bedingungen pocht und wir Konsumenten uns nicht dafür interessieren wie das was wir kaufen produziert wird, wird sich an diesem Dilemma  nichts ändern.

 

In den Gerbereien fällt noch einiges an Abfall an. Aus dem Unterhautfett wird Seife, aus den mit Chemikalien verseuchten Lederresten wird Tierfutter für Hühner und Garnelen, die wiederum von uns Menschen verzehrt werden. Bei der Herstellung unter freiem Himmel entstehen giftige stinkende Gase, die in ganz Dhaka zu riechen sind.

 

Anil wird nun doch langsam müde. Er hat gehört, dass aus dem Leder unter anderem sehr schöne Schuhe gefertigt werden. Das geschieht jedoch fast nur anderswo, in Indien China oder Italien. Vielleicht kann er sich solche Schuhe irgendwann mal leisten. Dann wird er auch seiner Schwester und seinen Eltern so wertvolle Schuhe schenken. Mit diesen Gedanken schläft Anil lächelnd ein.


Timm und Susi hat es die Sprache verschlagen. Aus diesem Blickwinkel haben sie ihr Konsumverhalten noch nie betrachtet. „Wir wollten Euch einmal veranschaulichen, dass viele Menschen, Tiere und die Natur darunter leiden, dass es uns so gut geht.“ sagt Mama. „Aber wir können das ändern, wenn wir ganz bewusst das kaufen, was fair produziert wird. Und wir können Hilfsorganisationen unterstützen, die den Armen eine Perspektive geben mit Arbeit, Schule und alldem was man für ein menschenwürdiges Leben braucht.“

 

Papa reicht den beiden noch je einen Brief: „Da ist das Geld drin, mit dem ihr eure Wünsche erfüllen könnt, Du Timm die Playstation und Du Susi das Iphone.“ Die beiden öffnen die prall mit 10 und 20 Euro Scheinen gefüllten Umschläge.

 

„Timm, wie lange müsste Tayo für die  Playstation arbeiten?“ Timm überlegt eine Weile und zählt dabei mit den Fingern: „Mannomann, das zwei Jahre!“

 

„Und Susi, wie lange müsste Anils Papa für ein Iphone arbeiten?“ Susi hatte die Frage schon geahnt: „Ebenfalls zwei Jahre. Das ist ja krass!“

 

Mama blickt Susi und Timm tief in die Augen: „Ihr könnt mit diesem Geld natürlich auch anderen etwas Gutes tun. Timm könnte zum Beispiel ein Jahr lang eine Patenschaft für ein Kind übernehmen und Susi sogar für zwei. Diese Kinder hätten immer zu Essen und sauberes Wasser, müssten nicht arbeiten und können zur Schule gehen. Sie haben eine gute Chance der Armut für immer zu entkommen.“

 

Susi reicht Papa den Umschlag mit dem Geld: „Ich habe ja noch ein Handy das funktioniert.“

 

Timm zögert einen Moment bevor er seinen Umschlag zurück gibt: „Ich kann ab und zu mit Paul spielen, er hat eine Playstation.“

 

 

Ein außergewöhnlicher Heiligabend, an dem zwei Kinder auf ihre Geschenke verzichten um damit drei Kinder aus der Armut zu befreien. Sagte nicht der Mann, dessen Geburtstag wir an Weihnachten feiern, Geben ist seliger als Nehmen? Und ist nicht die Fähigkeit Leid zu erkennen (Empathie, Mitgefühl), um es dann zu lindern oder zu beenden, unsere große Stärke?


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