Es war einmal ein zauberhaftes Wesen – nicht Mann, nicht Frau – und doch wie Vater und Mutter zugleich – überquellend vor warmherziger Liebe. Wir nennen es der Einfachheit halber den Zauberer.
Der Zauberer vermochte alles herbeizaubern, was man sich nur vorstellen kann. Doch es gab noch Nichts und Niemanden, mit dem er seine Freude und Liebe teilen konnte. Er fühlte sich alleine und das machte ihn sehr traurig.
Eines Tages beschloss er, ein großes Feuerwerk zu zaubern. Mit bunter Farbenpracht und lautem Knallen erfüllte er den ganzen Raum. Dieser Augen- und Ohrenschmaus bereitete ihm großes Vergnügen. Er zauberte weiter. So entstanden große Feuerbälle wie unsere Sonne. Aus Millionen dieser Feuerbälle erschuf er Sonnenräder wie unsere Milchstraße und schließlich den gesamten Sternenhimmel. Er betrachtete sein Werk voller Zufriedenheit und doch blieb das Gefühl der Einsamkeit, denn er hatte Niemanden, mit dem er seine Freude und Liebe teilen konnte.
Da kam ihm eine neue Idee und er zauberte sich einen wunderschönen Stein. Er nahm ihn in seine Hand und spürte seine herrlich glatte und kühle Oberfläche. Im Sonnenlicht schimmerte der Stein in vielen bunten Farben. Der Zauberer war begeistert von dem Formen- und Farbenspiel. Er erschuf weitere Steine, kleine, größere und riesige, ja sogar ganze Planeten wie unsere Erde. Er betrachtete sein Werk voller Zufriedenheit und doch blieb das Gefühl der Einsamkeit, denn er hatte noch immer Niemanden, mit dem er seine Freude und Liebe teilen konnte.
Nun griff er noch tiefer in seine Zauberkiste und holte eine kleine grüne Pflanze hervor. Er setzte sie in die Erde, gab ihr Wasser zum Trinken, Luft zum Atmen und Sonne zum Wachsen. Die Pflanze bedankte sich mit wunderschönen, duftenden Blüten und schließlich mit herrlich süßen Früchten. Voller Freude erschuf der Zauberer ein ganzes Pflanzenparadies, welches seine Sinne betörte. Er betrachtete sein Werk voller Zufriedenheit und doch blieb das Gefühl der Einsamkeit, denn er hatte weiterhin Niemanden, mit dem er seine Freude und Liebe teilen konnte.
Er wünschte sich ein Wesen, das all die Sinnesfreuden mit ihm teilen konnte, das sich fortbewegen und wie er an seiner Schöpfung erfreuen konnte. So zauberte er das erste Tier. Aber damit dieses Tier auch überleben konnte, brauchte es Instinkte: Hunger und Durst, um groß und stark zu werden, den Fortpflanzungstrieb, um sich zu vermehren. Es war wichtig, eine Familie zu haben, denn nur so konnte man sich gegenseitig helfen und beschützen. Die Tiere bereiteten ihm so große Freude, dass er immer neue Arten erschuf. Er sah, wie sich Pflanzen und Tiere ergänzten. Die Tiere aßen von den Früchten und verteilten die Samen der Pflanzen, damit wieder neue Pflanzen wachsen konnten. Auf diese Weise entstand ein prächtiges Tier- und Pflanzenparadies, das den Zauberer lange Zeit erfüllte. Und trotzdem blieb das Gefühl der Einsamkeit, denn er hatte nach wie vor Niemanden, mit dem er seine Freude und Liebe teilen konnte.
Der Zauberer überlegte sehr lange. Er wünschte sich einen wahren Freund, Jemanden, der ihn wirklich verstand und seine Freude und Liebe erwiderte. So erschuf er den Menschen. Auf den ersten Blick glich dieses Wesen den Tieren. Es hatte fünf Sinne und Instinkte. Doch der Zauberer schenkte dem Menschen noch all das, was auch er besaß:
Einen scharfen Verstand, der es ermöglicht zu begreifen,
wie Dinge funktionieren und zusammenhängen.
Eine blühende Phantasie, um neue Dinge zu erschaffen.
Einen freien Willen, um sich jederzeit selbst entscheiden zu können .
Ein großes Herz, das dabei hilft, die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Der Mensch genoss die Faszination der Schöpfung – die unendliche Vielfalt der Wiesen und Wälder, Berge und Täler, Flüsse, Seen und Meere. Er erfreute sich an der Lebendigkeit aller Lebewesen und erkannte den Zauberer hinter allem, was ist. Genau wie ein Dirigent die vielen Instrumente des Orchesters zu einer wunderbaren Symphonie erklingen lässt, gelang es dem Zauberer aus den Elementen Erde, Wasser, Luft und Feuer mit Hilfe seiner Freude und Liebe ein Paradies zu erschaffen.
Der Mensch bemerkte, dass auch er zaubern konnte. Eines Tages fand er ein Rehkitz, dass sich ein Bein gebrochen hatte. Er schiente das Bein und pflegte es gesund. Nach einiger Zeit konnte das Rehkitz wieder zu seiner Familie. Ein anderes mal gab es eine große Dürre. Da grub er einen tiefen Brunnen. Er gab den Tieren von dem Wasser zu trinken und goss die Pflanzen damit. Das ausgedörrte Land verwandelte sich durch seine Taten in eine Oase.
Der Zauberer sah dies und es erfüllte ihn mit großem Glück. Endlich hatte er jemanden, mit dem er seine Freude und Liebe teilen konnte.
Doch sollte seine Freude nicht lange halten ...
Copyright 2015 Janos Hübschmann