Der See der Erkenntnis

An einem heißen Sommertag wollte sich der Mensch im kühlen Nass eines Sees erfrischen. Als er sich über die Wasseroberfläche beugte, erkannte er sein Spiegelbild. Lange Zeit betrachtete er sich im wellenlosen Wasser. Sein Verstand bemühte sich, diesen neuen Eindruck zu deuten. Ihm wurde klar, dass er der einzige Mensch war, denn alle Lebewesen sahen anders aus als er. Plötzlich fühlte er sich schrecklich einsam. Er spürte die selbe tiefe Traurigkeit in sich wie einst der Zauberer. In seinem Selbstmitleid wurde er blind für alle Wunder der Schöpfung und für die Liebe des Zauberers. Während er früher dem Wohle der Natur diente, drehte sich bald alles nur noch um sein eigenes Wohl.


Der Zauberer sah das Leid und die Traurigkeit des Menschen mit großer Besorgnis. Deshalb erschuf er weitere Menschen, damit sich dieser nicht so alleine fühlte. Doch auch diese Menschen erblickten ihr Spiegelbild im See der Erkenntnis. Sie glaubten von da an ebenfalls, sie seien getrennt von allem, was ist. Statt der Schöpfung zu dienen, begannen die Menschen einander zu misstrauen. Da jeder auf seinen eigenen Vorteil bedacht war, entstand im Laufe der Zeit eine Gesellschaft, in der sich alle gegenseitig austricksten.


Die Menschen brachten unendliches Leid über die Erde. Es gab blutige Kriege, entsetzliche Folter, zahllose Hungersnöte und grausame Krankheiten. Viele Pflanzen- und Tierarten wurden ausgerottet, wertvolle Bodenschätze geplündert, Land, Luft und Wasser vergiftet. Das wunderschöne Paradies, welches der Zauberer mit all seiner Liebe erschaffen hatte, verwandelte sich mehr und mehr in einen hässlichen stinkenden Müllplatz. Den Zauberer stimmte dies sehr, sehr traurig. Er musste etwas unternehmen. Das würde wohl sein schwierigster Zaubertrick werden, hatte er doch den Menschen einen freien Willen gegeben. 


Sie mussten selbst erkennen, dass die Trennung von der Schöpfung eine Illusion ihres Verstandes ist.

Sie mussten selbst erkennen, dass ihr Herz sie immer mit dem Zauberer und der Schöpfung verband. 


Copyright 2015 Janos Hübschmann


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